HEILIGE STADT HEBT AB

Stadtgeflüster
Heilige Stadt hebt ab
Jerusalems Stadtzentrum erblüht: Nur einen Katzensprung vom schummerigen Gassenlabyrinth der historischen Altstadt sind neue Lokale, Läden und Kulturstätten entstanden. Besucher aus aller Welt kommen längst nicht mehr nur um den Tempelberg zu sehen.
November 2021, Lesezeit: 12 Minuten

Stadtpaläste an der King David Street. Im Hintergrund: die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten.
Vermutlich liegt es an den hohen Erwartungen, an der besonderen Geschichte, an den Mythen und Märchen, die mit Jerusalem verbunden werden – jedenfalls ist der erste Eindruck der Heiligen Stadt ernüchternd. Wer vom Flughafen kommt, sieht zunächst eine Metropole mit unattraktiven Außenbezirken, mehrspurigen Straßen und einem hügeligen Auf und Ab, das den Blick auf was auch immer man zu sehen erhofft, versperrt. Die Innenstadt mit ihren in diversen Gelb-, Rosa- und Grauschattierungen errichteten Natursteingebäuden wirkt erstaunlich un-antik, streng und fast spartanisch. Nur die Café-Terrasse und die hier und dort zwischen den Gemäuern blühenden Bougainvilleen sorgen für südländischen Charme. Biblisch ist hier erst einmal gar nichts.

Am frühen Morgen noch menschenleer: die schmalen Altstadtgassen der Heiligen Stadt.

Kaktus-förmiger Holzturm im Garten des Hansen House. Foto: Dor Kedmi
Dafür findet in Israels größter Stadt ein fanfarenloses, angenehm unprätentiöses und ausgesprochen zukunftsorientiertes kulturelles Erwachen statt. Öffentlich geförderte Kunstzentren an oft überraschenden Orten nehmen an Struktur und Bedeutung zu, Festivals werden auch international wahrgenommen, DJs, Designer und Dramaturgen kommen von überall her und bleiben. Gleichzeitig boomt die Tech-Szene: Über 500 Start-ups mit ihren meist jungen und coolen Mitarbeitern bringen frischen Wind, Visionen und Valuta nach Jerusalem.

Alles am Spieß: Israelische Spezialitäten im Restaurant 02.
Zwar fehlen die unbekümmerte Partystimmung, die sexy Ausstrahlung, das Meer und der Shabby-Chic der Bauhaus-Architektur, die Scharen von Besuchern nach Tel Aviv locken. Doch Jerusalem lässt sich längst nicht mehr auf Klagemauer und Via Dolorosa reduzieren. Zumal sich auch in der über 3.000-jährigen Altstadt der Zeitgeist bemerkbar macht. In schlichten Mini-Lokalen lassen sich einheimische Hipster köstlichen Humus und Falafel schmecken, Studenten decken sich auf dem arabischen Markt mit Obst und Gemüse ein, die Stände mit jemenitisch gewürztem Kaffee sind von einer bunt gemischten Klientel umgeben.

Terrasse mit Aussicht im Hotel Mamilla.

Der Felsendom mit seiner markanten goldenen Kuppel.

Täglich pilgern unzählige Gläubige zum beten an die Klagemauer.
Die Touristengruppen, die den Schildern zum Tempelberg folgen, lassen sich leicht umgehen und außerhalb der Altstadtmauern sind ohnehin kaum Urlauber zu sehen. Im Moment hat man als Besucher Jerusalem noch fast für sich. Doch das dürfte sich bald ändern, denn laut dem Informationsdienstleister Bloomberg zählt die Heilige Stadt zu den am schnellsten wachsenden Reisedestinationen der Welt. Wer sie ohne Gedränge erleben möchte, muss sich beeilen.
Wohnen

Gut geliftet: The Inbal
Das etablierte und beliebte Luxushotel hat sich vor ein paar Jahren eine Rundum-Verschönerung gegönnt und sich dabei auch ein wenig vergrößert. Es wirkt jetzt deutlich jünger, frischer, moderner, die neuen Zimmer locken mit schönen Bädern, großzügigen Balkons und Blick auf die Türme der Zitadelle. Gefrühstückt wird im begrünten Patio, wer nicht die Stadt erkundet, kann am Pool und im Spa entspannen. DZ ab 354 USD, inbalhotel.com
Foto: Assaf Pinvhuk

Alt und neu: Mamilla
Heilig und gesellig, antik und zukunftsweisend, luxuriös und lässig – das Mamilla ist wie Jerusalem selbst, eine höchst gelungene Mischung und eine Kreuzung verschiedener Wege. Neben den 194 eleganten Zimmern und Suiten, dem Pool und dem Hammam gilt die großartige Dachterrasse mit Lounge, Bar und Restaurant als Highlight des Hauses. DZ ab 460 USD, mamillahotel.com
Foto: Amit Geron

Pole Position: Bezalel
37 Zimmer in einem schön restaurierten Stadtpalast in einem der beliebtesten und lebhaftesten Stadtteile unweit von Markt und historischer Altstadt. Die Einrichtung wirkt wie zufällig zusammengewürfelt, dabei perfekt durchgestylt mit viel israelischem Design. In der Lobby stehen Sofas und Bücher, es gibt einen begrünten Hof und ein leckeres landestypisches Frühstück. DZ ab 180 USD, atlas.co.il/bezalel-hotel-jerusalem
Foto: Sivan Askayo

Lässiger Chic: Arthur
Satte Farben, Vintage-Fotografien, eine lässig-durchgestylte Atmosphäre und eine tolle Lage im angesagten Ben-Yehuda-Viertel sind die Pluspunkte dieses charmanten 58-Zimmer-Hotels. Den Gästen stehen kostenlose Leih-Fahrräder zur Verfügung, am Abend lockt eine ebenso kostenlose Happy Hour. DZ ab 180 USD, atlas.co.il/arthur-jerusalem
Foto: Nathan Dvir
Essen

Markt-Kaschemme: Azura
Der würzige Ochsenschwanz-Eintopf hat die ganze Nacht vor sich hin geköchelt, die mit Hackfleisch gefüllten Auberginen sind in einer Zimtsauce gebacken. Im Azura isst man bodenständig und gut, der Balkan-Mix stammt von der türkischstämmigen Besitzerfamilie und wurde ebenso wenig verändert wie das Lokal, das trotz wachsender Beliebtheit seinen ursprünglichen Hinterhof-Charme erhalten konnte. Ha-Eshkol St 4, Tel. +972 2 623 5204

Alles am Spieß: Restaurant 02
Nicht alles ist am Spieß: Das Yellowtail-Sashimi badet in einer Gurken-Fenchel-Emulsion, der gegrillte Kürbis wird mit Tahini und Dattelhonig serviert. Doch die „Skewers“ sind die Bestseller der Karte, egal ob Lamm mit Koriander-Pesto, Hühnchen mit Harissa oder Rind an Kräuteröl. Das gut gestylte Lokal eignet sich auch für einen Drink an der Bar, wer möchte bekommt einen Tisch auf der Terrasse. 02rest.com

Einfach & Gut: Ben-Sira Hummus
Kaum ein Tourist verirrt sich in dieses schlichte Restaurant, dafür stehen vor allem mittags Einheimische Schlange, um einen Platz zu bekommen. Der Grund: Hier gibt es den besten Humus der Stadt. Wer möchte, bestellt dazu ein paar ebenso leckerer Falafel und/oder den Tomatensalat. Von den Plätzen an der Theke kann man den Köchen bei der Arbeit zusehen, Tische im Freien gibt es auch. Ben Sira 3, Tel. +972 2 625 3893

Dinner mit Stil: Restaurant Mona
Das Mona gilt als das schickste Restaurant der Stadt: Intim, lässig, mit weißgedeckten Tischen auf altem Terrakotta-Boden und ein paar Plätzen im Freien. Die Küche ist wie so oft in Israel eine gelungene und extrem köstliche Kombination aus allem Möglichen: Es gibt Austern mit Gurken-Granita, Gnocchi an Jakobsmuscheln, Kalbsbries mit Mais und Pinienkernen oder ein perfekt gebratenes Steak. monarest.co.il
Trinken

Pariser Flair: Patisserie Kadosh
Es gehört offenbar zum guten Ton unter Jerusalems Schickeria, vor dieser altmodischen französischen Konditorei anzustehen. Kein Wunder: Nicht nur sitzt man hier an einem hübschen Platz mitten in der City, man bekommt auch unwiderstehliche Brioches, Mandel-Croissants und Schnecken mit Beeren und Pistazien, die täglich frisch in der Backstube über dem Café zubereitet werden. Köstlich! Queen Shlomziyon St 6, Tel. +972 2 625 4210

Kaffee & Wein: Roasters
Der Kaffeestand in der Haupthalle der Mahane-Yehuda-Markthalle ist nicht nur für eine Einkaufspause geeignet, sondern eine ganz und gar eigenständige Destination. Hier gibt es den besten Espresso und den besten Cappuccino der Stadt, dazu werden leckere Sandwiches und Gebäck angeboten. Am Abend verwandelt sich der Stand in eine angesagte Wein- und Bier-Bar. HaAfarsek St 20, Tel. +972 54 671 0296

Café cool: Bezalel
Kaum ein Tourist verirrt sich in das wohl lässigste Café der Stadt. Der Innenraum ist winzig, dafür stehen jede Menge Tische vor der Tür, an denen sich Jerusalems Trendsetter treffen – gerne auch mit Laptop, Kinderwagen und/oder Zeitung. Zum Frühstück gibt es leckere Croissants und Rühreier, mittags liebevoll zubereitete Sandwiches und immer einen belebenden Americano-Kaffee auf Eis. Betsal’el St 8, Tel. +972 2 625 9164
Einkaufen

Keramik-Kooperative: Gilda
Gut zwei Handvoll Keramik-Künstler haben sich zusammengetan und einen Laden im Stadtzentrum eröffnet. Jeder von ihnen hat ein einen namentlich gekennzeichneten Standort, damit sich die unterschiedlichen Stilarten nicht vermischen. Manche Arbeiten sind bunt und verspielt, andere eher funktionell und zurückgenommen. Alle sind in und um Jerusalem entstanden, handgefertigt und einzigartig. Salomon St 27

Schlaraffenland: Mahane Yehuda
Den legendären Shuk (Markt) gilt als der größte des Landes, das Angebot lokaler Produkte ist so überwältigend wie verführerisch. An rund 250 Ständen türmen sich Obst und Gemüse, Nüsse und Gewürze, getrocknete Früchte und Beeren, Oliven, Gebäck, Käse, Tahini, Halva und vieles mehr. Für eine Pause bietet sich der kleine Kaffeestand Roasters (roasters.co.il) in der Haupthalle an – hier gibt es den wohl besten Espresso der Stadt. machne.co.il

Klein und fein: Sofia
Klein, schick, persönlich – in diesem stilsicher kuratierten Modeladen gibt es nur das, was dem exklusiven Geschmack der Besitzerin Miri Ashut Zuta entspricht. An Kleiderstangen, auf Ablagen und in Vitrinen sind die Kreationen von rund 60 israelischen Designern zu sehen, darunter samtige Ledertaschen von Emili, mädchenhafte Slingpumps von XOOX und filigrane Schmuckstücke von Omri Goren. Bezalel St 2

Farbenfroh: Ginger
Dies ist kein Laden für Puristen. Kissen, Tischdecken, Taschen, Körbe und alle anderen Dekorations- und Mode-Accessoires – alles sprüht nur so von Farben und Mustern. Die Marke führt mehrere Läden in Israel und spiegelt die Vision von Designerin Orit Kesten wider, die sich von ihren Streifzügen um den Globus inspirieren ließ und die verschiedensten Einflüsse in ihre Arbeiten aufgenommen hat. gingerhome.co.il
Staunen

Kreatives Chaos: Hamiffal
Ein verlassenes und halb verfallenes Gebäude aus dem 19. Jahrhundert wurde zu einem Kulturzentrum mit ständig wechselnden Kunst-Installationen, Konzerten, Performances und Filmvorführungen. Hamiffal („Fabrik“) ist für jeden offen, egal ob er Kunst machen oder sehen möchte. Insider kommen auch, weil man unter der gewölbten und bunt bemalten Decke des hauseigenen Cafés günstig und gut essen kann. hamiffal.com
Foto: Yelena Kvetny

Multifunktion: Hansen House
Ein 1867 gegründetes Lepra-Asyl, das noch bis ins Jahr 2000 als nationales Lepra-Zentrum diente und 2011 zum israelischen Kulturerbe deklariert wurde, dient heute als Kulturzentrum. Unter dem Namen Hansen House, Center of Design, Media and Technology werden dort wechselnde Ausstellungen, Performances und Events wie die Jerusalem Design Week organisiert. hansen.co.il/en
Foto: Dor Kedmi

Alte und junge Kunst: Israel Museum
Das größte und wichtigste Museum Israels überrascht zunächst durch seine moderne Architektur und die Großzügigkeit seiner Räume und Außenareale. Eröffnet wurde es 1965, inzwischen kommen jährlich über eine Million Besucher, um den Schrein des Buches mit den ältesten biblischen Handschriften, den Skulpturengarten und die wechselnden, oft zeitgenössischen Künstlern gewidmeten Ausstellungen zu sehen. imj.org.il
Foto: Eli Posner

Must see: Old Jerusalem
Die labyrinthische Altstadt ist von einer Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert umschlossen und besteht aus ethnisch-religiös geprägten Wohn- und Geschäftsvierteln. Als Top-Sehenswürdigkeit gelten der Tempelberg mit dem Felsendom und die Klagemauer. Die Hauptachse der Altstadt ähnelt einem orientalischen Bazar mit vielen Läden und Lokalen. Den besten Humus gibt es bei Lina (Al Khanka St), das beste Knafeh bei Jaffar Sweets (Beit Habad St).