HIGHLAND-HOTELIERS

NACHTQUARTIER

SCHOTTLAND
HIGHLAND-HOTELIERS

Das bekannte Galeristen-Paar Manuela und Iwan Wirth verwandelte eine heruntergekommene viktorianische Poststation in das glamouröseste Hotel des Vereinigten Königreichs.

Dezember 2020, Lesezeit: 5 Minuten,
Fotos: Sim Canetty-Clarke

Oben: Galeristen und Hoteliers – Manuela und Iwan Wirth. Unten: The Flying Stag.

Ein ausgestopfter Hirschbock mit weißen Flügeln, der im hohen Bogen über den Bartresen springt? Gäste, die am frühen Abend im The Flying Stag einen Aperitif trinken, scheinen ihn kaum zu bemerken, jedenfalls ist die Stimmung gelöst bis heiter. Vielleicht liegt das an den 180 Whisky-Sorten, die hier großzügig fließen, oder an der abgefahrenen Live-Musik, die von ausgesuchten Interpreten vorgetragen wird. Und: Ein bisschen Grusel darf sein, schließlich ist dies Schottland, genauer gesagt die Highlands, Heimat von Loch-Ness-Monster Nessie und diversen grünen, grauen, schwarzen und weißen Ladys, die durch die Nächte gespenstern.

The Flying Stag gilt als Treffpunkt in Braemar, einem hübschen 450-Seelen-Dorf in der sanften Hügellandschaft von Aberdeenshire, nur knapp 15 Kilometer von Balmoral Castle entfernt, der privaten Sommerresidenz der Queen. Tatsächlich wurden Ihre Königliche Hoheit, Prinz Charles und Herzogin Camilla bereits in der Kneipe gesichtet. Nicht als zufällig auf einen Drink vorbeikommende Gäste natürlich, sondern anlässlich der Eröffnung bzw. Neueröffnung des Etablissements, das früher mal ein ganz normales Dorf-Pub war. Heute trifft sich das Who’s who der internationalen Kunstszene unter dem Flugtier, das vom amerikanischen Künstler James Prosek als Kreuzung zwischen Hirsch und Schneehuhn geschaffen wurde – eine Auftragsarbeit des Galeristen-Paars Iwan und Manuela Wirth, Miteigentümer der 1992 in Zürich gegründeten Galerie Hauser & Wirth, die mit Niederlassungen in London, New York, Los Angeles, Hongkong, Gstaad, St. Moritz und Somerset weltweit zu den Global Players im Kunstmarkt gehört.

„DENN UM GESCHICHTE UND GESCHICHTEN GEHT ES, EIN GROSSARTIGES HOTEL IST IMMER AUCH IRGENDWIE EIN PORTRÄT.“

Wirkt nur von außen abweisend – das stattliche viktorianische Gebäude am Fluss Clunie Water.

Im Dorf erzählt man sich, Iwan Wirth habe vor Jahren in eben diesem Pub den schlechtesten Kaffee seines Lebens getrunken. Kurz darauf kaufte er das Lokal inklusive des dazugehörenden, 1836 vom Duke of Fife erbauten Highland Coaching Inn, ein imposantes Steingebäude mit Giebeln und Erkern, dessen beste Tage schon lange vorbei waren. Vier Jahre dauerte es, bis aus der zugig-feuchten Herberge für 25 Pfund pro Nacht zahlende Bustouristen das exzentrische Luxushotel The Fife Arms wurde. „Wir wissen nicht viel über Hotels, wie sie gemacht und geführt werden“, sagt der Hausherr, „was wir wissen, ist wie man eine erfolgreiche Ausstellung kreiert. Darin sind wir gut“. So ganz unerfahren in der Hotellerie sind die Wirths allerdings nicht. 2014 eröffneten sie Durslade Farmhouse, ein schickes, mit Kunst gefülltes Sechs-Zimmer-Gästehaus in Bruton, Somerset, wo sich eine ihrer Galerien inklusive „artist in residence“-Programm befindet und wo das Paar zeitweise lebt. Seit der Eröffnung vor knapp acht Jahren wurden dort gut 500.000 Besucher empfangen.

The Fife Arms aber spielt in einer anderen Liga. Der Wow-Effekt beginnt in der Empfangshalle, wo ein großformatiges Mädchen-Porträt von Lucian Freud einfach so über einem Sofa hängt. Ein überdimensionaler Mahagoni-Kamin ist mit handgeschnitzten Szenen aus dem literarischen Werk des schottischen Dichters Robert Burns bedeckt, ein Steinway-Flügel wurde vom amerikanischen Künstler Mark Bradford als topografische Landkarte gestaltet und spielt ganz von alleine. Im zentralen Treppenhaus flackert der Red Deer Chandelier, ein monumentaler Lüster aus unzähligen mit Neon gefüllten Buntglas-Geweihen, den die Wirths beim Kalifornier Richard Jackson in Auftrag gaben. Im Salon gleich nebenan sitzen Gäste beim Afternoon Tea mit Gurken- und Curryhuhn-Sandwiches unter einem Picasso-Selbstbildnis, das den alternden Künstler als Musketier zeigt. Die kaleidoskopisch bunte Decken-Landschaft hat der chinesische Künstler Zhang Enli in den noch feuchten Putz gemalt, über einen der Sofatische schleicht ein taxidermisch präparierter Fuchs.

Die kleinen Crooft Rooms bieten kaum mehr Platz als eine Schlafkoje. Die Bar Elsa’s ist Elsa Schiaparelli gewidmet.

Für die Nacht stehen 46 völlig unterschiedliche Zimmer und Suiten in einer breitgefächerten Preisskala bereit. Mit „opulent“ lässt sich das unglaubliche Dekor der indischen Suite, der Deutscher-Kaiser-Suite, der Prince-Albert-, Highlander- oder Duke-of-Fife-Suite nur notdürftig umschreiben. Selbst die romantischen, mit gezimmerten Schlafkojen bestückten und eher kleinen Croft Rooms stecken voller wunderbarer Details. Der Londoner Interior-Designer Russell Sage durfte sich austoben: Über 12.000 wertvolle Kunstwerke, Antiquitäten und seltene Objekte wurden in die Zimmer und öffentlichen Räume verteilt, jedes einzelne davon war zuvor von zwei full-time-Wissenschaftlern auf seine Echtheit geprüft worden. 70 verschiedene Tapisserien kamen zum Einsatz, darunter Reproduktionen aus dem William-Morris-Archiv sowie Tweeds und Tartanbespannungen, die die in Edinburgh lebende Textil-Designerin Araminta Campbell eigens für The Fife Arms entworfen hat. Das Ergebnis ist ein so kluger wie verschrobener Querschnitt durch die schottische Geschichte. „Denn um Geschichte und Geschichten geht es“, sagt Iwan Wirth, „ein großartiges Hotel ist immer auch irgendwie ein Porträt“.

Und so vereint das The Fife Arms schottisches Kulturerbe mit handwerklichem Können, neo-viktorianischem Pomp und einer Kunstsammlung von Weltformat. Einheimische frequentieren nicht nur das ehemalige Pub, sondern streifen gerne durch die Hallen und Salons. „Wir sind für alle offen“, versichert Managerin Federica Bertolini, „unser Service ist zwar der eines Luxushotels, aber viele unserer Mitarbeiter stammen aus der Gegend und freuen sich über die Fragen neugieriger Besucher“. So erfährt man, dass die schicke, mit Disko-Kugel und Man Ray-Photographien ausstaffierte Bar Elsa’s nicht ohne Grund der Modedesignerin Elsa Schiaparelli gewidmet ist. Offenbar war die exzentrische Italienerin häufig in Braemar, zusammen mit ihrer Freundin, der Moderedakteurin Frances Farquharson, die in den lokalen Farquharson-Clan eingeheiratet hatte.

Der Afternoon Tea wird im plüschigen drawing room unter einem echten Picasso serviert.

Wem nach einem Shocking Pink-Cocktail auf Prosecco- und Rhabarberlikör-Basis nach etwas Soliderem zumute ist, wechselt in den Clunie Dining Room. Dort gibt es feinstes schottisches Comfort Food – Highland-Rinderlende mit Knochenmark-Bouillon oder Steinbutt an Wacholder-Butter – einen zweiten ausgestopften Hirschbock, der erhaben in den Raum blickt, und ein unglaubliches Rundum-Wandgemälde des argentinischen Künstler Guillermo Kuitca, das mit seinen steinzeitlichen Grauschattierungen und kantigen Wirbel-Formen an den britischen Vortizismus des frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Das Restaurant ist nach dem als unberechenbar geltenden Flüsschen Clunie benannt, das quer durch Braemar und direkt am Hotel vorbei fließt. The Fife Arms steht nämlich mitten im Dorf, unweit von Menzies Metzgerei, dem netten Souvenir-Ladens The Horn Shop und der ehemaligen schottischen Bischofskirche St Margaret’s, die dank großzügiger Spenden der Schweizer Dorfmitglieder zu einem florierenden Kunst- und Musik-Center geworden ist. Überhaupt sind Iwan und Manuela Wirth, die schon lange ein Haus im benachbarten Ballater besitzen, tief in das lokale Leben eingetaucht. Sie sind als passionierte Fliegenfischer und Imker bekannt, tragen Schottenrock und sind natürlich auch beim Braemar Gathering, Schottlands wichtigster sportlichen Veranstaltung, die mit kuriosen Disziplinen (Baumstamm-Werfen, Tauziehen, Bergrennen…) und der Anwesenheit der Queen punktet, präsent.

In Vor-Corona-Jahren kamen bis zu 15.000 Zuschauer zum Gathering, dazu hunderte von Musikern und Sportlern. Man darf davon ausgehen, dass dann nicht nur die eigens für die Spiele errichtete Arena im The Princess Royal and Duke of Fife Memorial Park am südwestlichen Ortsrand aus allen Nähten platzte, sondern auch das The Flying Stag. Gut möglich, dass der Polizist, der Metzger, der Wildhüter oder die Haushälterin, die auf Skizzen des jungen Londoner Künstler Gideon Summerfield die Wände zieren, unter den Gästen waren. Es wird wohl niemand bemerkt haben, denn für Pub-Besucher sind Pint und Pie interessanter als Porträts – selbst wenn sie Teil eines Gesamtkunstwerks sind, das ihr Dorf schlagartig zum the „place to be“ für den internationalen Kunst-Jetset und ihrem glamourösen Gefolge gemacht hat. thefifearms.com, DZ ab 250 Pfund

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