SINGAPUR – EINE STRASSE ERWACHT

Stadtgeflüster

Singapur: Eine Straße erwacht

Jalan Besar bedeutet „breite Straße“ auf Malaiisch, gemeint ist aber „Hauptstraße“. Singapurs Jalan Besar trennt den arabischen Stadtteil Kampong Glam von Little India und schlummerte lange im Schatten der beiden Touristen-Magneten.

August 2021, Lesezeit: 8 Minuten

Ganz oben: Hofterrasse des angesagten Cafés Chye Seng Huat Hardware. Mitte: The Reninery, ein Laden, in dem man auch essen kann. Oben: Typisch für Singapur – scharfer Kontrast zwischen alt und neu.

Es hat seine Vorteile, nicht an vorderster Front zu stehen: Wer/was nicht ständig beobachtet, besucht, besichtigt wird, kann sich in Ruhe entwickeln und aus den Fehlern anderer lernen. Jalan Besar verläuft der Länge nach durch den nach ihr benannten Stadtteil im Nordosten des Singapurer Stadtzentrums, eingekeilt zwischen den viel bekannteren Vierteln Kampong Glam und Little India.

Ganz früher war die Gegend ein Sumpfgebiet. Ab dem späten 19. Jahrhundert siedelten sich die ersten Fabriken und Schlachthäuser an. Heute ist Jalan Besar dank der vielen Eisenwarenläden besonders bei Handwerkern und Bastlern beliebt. Andere kommen wegen des rund um die Uhr geöffneten Kaufhauses Mustafa, in dem es von der Sonnenbrille über den Kinderschuh bis zur iranischen Kräutermischung wirklich alles zu kaufen gibt. Touristen verirren sich selten hier her. Kein Wunder, denn (noch) muss man nach Orten suchen, die den Schlenker Wert wären. Oder man weiß, wo die schicken Cafés, kreativen Kunsträume, schönen Läden und unglaublich leckeren Restaurants zu finden sind. Selbst an der Hauptstraße bleiben die Highlights oft unbemerkt, denn erstens sie sind meist klein und unauffällig und zweitens wird der Blick von den malerischen historischen Shop-Häusern abgelenkt. Man schaut also hoch auf die bunt getünchten oder gekachelten Fassaden, die geschwungenen Fensterbögen und die Ziegeldächer, die in krassem Kontrast zu den modernen Wohntürmen im Hintergrund stehen.

Gut besucht: die Kunstausstellungen von UltraSuperNew. Foto: Jona Smulders Cohen

Erst wenn man die Aufmerksamkeit auf die kleinen Schaufenster in den von Arkaden gesäumten Gebäuden lenkt, wird offensichtlich, weshalb Jalan Besar derzeit so angesagt ist. Denn um das 1929 eröffnete und jedem Singapurer wohlbekannte Sportstadion sind viele ungewöhnliche Orte entstanden, die einheimischen Hipstern und gut informierten Urlaubern gefallen: provisorische Kunstgalerien, Hinterhofbars, winzige Läden mit durchgestylten Produkten, ein plüschig-dekadentes Luxushotel. Daneben haben traditionelle Food-Märkte, altmodische Dim-Sum-Lokale, einfache Lebensmittel-Läden und viele der alten Eisenwarenhandlungen überlebt und es ist genau dieses heitere Nebeneinander von alt und neu, das den Charme von Jalan Besar ausmacht. Die neue MRT-Station (Metro) ist nicht ganz unschuldig an der Entwicklung: Seit ihrer Eröffnung im Herbst 2017 ist das ganze Viertel bekannter und zugänglicher geworden.

Wohnen

Designer-Opulenz:
The Vagabond Club

Früher nutzen Bordellbetreiber, Fahrradverkäufer und illegale Wanderarbeiter die Räume des schönen Shophouse aus den 1950er Jahren. Nach einer sorgfältigen Gebäudesanierung richtete der Pariser Star-Designer Jacques Garcia die Lobby und die 41 Gästezimmer in opulent-luxuriösem Stil mit viel rotem Samt und interessanten Kunstwerken ein. DZ ab 215 SGD, hotelvagabondsingapore.com
Foto: Seth Powers

Essen

Dumplings und mehr:
Swee Choom Tim Sum

Von außen macht das 1962 eröffnete und seitdem ständig gewachsene Lokal wenig her und auch die Innenräume wirken schlicht. Dafür sind die Xiao Long Bao (gedämpfte Teigtaschen) die Sichuan Chilli Oil Wontons (Teigtaschen in Chili-Öl), das gebratene Tofu und die mit roter Bohnenpaste gefüllten Pancakes die Wartezeit am Eingang wert. sweechoon.com

Fusion Cuisine:
The Refinery

Modernes, im Industrie-Look gestyltes und großräumiges Lokal mit teilweise offener Küche und innovativer asiatisch-japanischer Fusion Cuisine. Auf der Menükarte stehen interessant zusammengestellte Bowls und andere spannende Kreationen, dazu gibt es leckere, ebenfalls asiatisch inspirierte Drinks von der Cocktailbar. therefinery.sg

Suppen-Imbiss:
Sungei Road Laksa

Bescheidene Garküche mit runden Formica-Tischen und rosa Plastikstühlen. Doch der große Andrang verrät, dass es etwas Leckeres gibt: Laksa, eine cremige, mit Schalotten, Chili, Fischsauce, Koriander und Laksa-Blättern abgeschmeckte Kokosmilch-Suppe, in der Herzmuscheln, Tintenfischstreifen, Soja-Sprossen und Reis-Nudeln schwimmen. 27 Jalan Berseh

Trinken

Kopi & Kaya:
Coffee Hut

Für einen traditionellen Singapurer Kaffee (Kopi) werden Kaffeebohnen mit Butter und Zucker im Wok geröstet, gemahlen, aufgebrüht und mit Kondensmilch und Zucker serviert. Dazu passt Toast mit Kaya, einer Zucker-Kokos-Eier-Marmelade. Bei Coffee Hut ist beides köstlich, der Kaffee-Stand befindet sich im rundum offenen Berseh Food Centre. 43 Jalan Besar

Café cool:
Chye Seng Huat Hardware

Der Name des Cafés wurde vom Eisenwarenladen, der hier einmal war, übernommen. Alles andere ist neu: die hufeisenförmige Theke, die Espresso-Maschinen, das minimalistische Mobiliar. Es gibt einen guten Cappuccino, Kenner bevorzugen allerdings den „cold brew“ und bestellen ein „kueh“ (Törtchen) dazu. Im Hof sitzt man besonders schön. cshhcoffee.com

Bier-Bar:
Druggist

Inhaber Corrine Chia und Lincoln Goh ließen den altmodischen Stil der Räume unverändert bzw. peppten ihn mit Retro-Gegenständen wie alten Kaffeehaus-Marmortischen und Holzstühlen auf. Die meisten Gäste wählen von der umfangreichen Bier-Karte mit vielen, teilweise frisch gezapften lokalen Sorten. Für eine solide Basis im Magen gibt es leckere Snacks. 119 Tyrwhitt Road
Foto: Singapore Tourism Board

Einkaufen

Alles handgemacht:
The General Company

Eigentlich ist dies ein Designerstudio, in dem Lederetuis, Taschen, Porzellan oder Visitenkarten entworfen und in Handarbeit hergestellt werden. Doch Besucher sind willkommen. Einige Produkte können vor Ort gekauft werden, andere werden auf Bestellung produziert. Es gibt auch die Möglichkeit, an einem Workshop teilzunehmen. thegeneralco.sg
Foto: Julian Cheong Photography

Shop Around the Clock:
Mustafa

Das mehrstöckige Kaufhaus hat täglich 24 Stunden geöffnet und bietet eigentlich so gut wie alles: Lebensmittel, Haushaltswaren, Bekleidung, Kosmetik, Elektronikartikel und Schmuck. Es macht Spaß die überfüllten Regale zu inspizieren und Dinge zu kaufen, von denen man nicht wusste, dass es sie gibt. mustafa.com.sg
Foto: Danny Santos

Staunen

Instagrammable:
Petain Road/Petain Court

In der nach Feldmarschall Henri Philippe Petain benannten Straße stehen 18 zauberhafte Shophouses direkt nebeneinander. Die Fassaden der zweistöckigen Gebäude sind mit floralen Kacheln bedeckt, die oberen Stockwerke weisen filigrane chinesische Stuckarbeiten auf. Früher war dies ein Rotlichtbereich, inzwischen ist es eine begehrte Wohnadresse.
Foto: Singapore Tourism Board

Interaktive Experimente:
UltraSuperNew

UltraSuperNew ist eine aus Tokio stammende Kreativ-Agentur, die die experimentelle Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Designer und anderen Kreativen fördert. Die Räume unter der Agentur werden für Ausstellungen genutzt – es gibt fast immer etwas Interessantes, Überraschendes und Ungewöhnliches zu sehen. ultrasupernew.com

Meine Jalan Besar

Mike Tay
Designer

Ich bin schon als Kind mit meinen Eltern in dieses Viertel gekommen. Meine Familie hatte hier einige Lieblingsrestaurants, manche davon gibt es heute noch. Allerdings war damals viel weniger los als heute, es gab keine U-Bahn-Station, dafür diese schönen alten Shop-Häuser und jede Menge altmodischer Lokale. Wenn ich um die Mittagszeit in der Gegend bin, esse ich oft im Berseh Food Centre (166 Jalan Besar). Mein Favorit ist der chinesische Suppenstand New World Mutton Soup (02-57), den Nachtisch hole ich mir vom Dessert-Stand nebenan (02-58), wo es lokale Klassiker wie Ice Kachang gibt. Wenn es etwas komfortabler sein soll, gehe ich ins Hillman Restaurant (hillmanrestaurant.com). Dort gibt es chinesisch-singapurische Hausmannskost, etwa ein köstliches, in Backpapier gebackenes Hühnchen (paper wrapped chicken) oder im Wok gebratene Nudeln (stir-fried bee hoon). Meine Freunde treffe ich im Chye Seng Huat Hardware (cshhcoffee.com), wo wir bis in den Nachmittag hinein frühstücken und wo es neben einem exzellenten Kaffee auch eine schöne Tee-Auswahl gibt. Einen Hotel-Tipp hätte ich auch: Im Kam Leng Hotel (kamleng.com) fühlt man sich in die 60er Jahre zurückversetzt. Es ist eines der wenigen Hotels in Singapur, das unsere Vergangenheit lebendig hält.

Nebenan

Kampong Glam

Das moslemische Viertel um die imposante Sultan Moschee ist eines der angesagtesten Stadtteile Singapurs. In der Haji Lane, der Arab Street oder der Bussorah Street sind coole Shisha-Bars, Vintage-Läden und unzählige Restaurants in die bunt bemalten Häuser aus dem 19. Jahrhundert gezogen. Highlights: das Zam Zam Restaurant (zamzamsingapore.com), das Aliwal Arts Centre (aliwalartscentre.sg) und der Porzellan-Laden Supermama (supermama.sg).

Little India

Bunt und lebhaft – die indische Gemeinschaft hat ihr Viertel fest im Griff und verteidigt es erfolgreich gegen jede Form von Gentrifizierung. An Sonntagen wird die zentrale Serangoon Road zu einem großen Marktplatz. Highlights: der Lebensmittelmarkt mit Essständen Tekka Centre (Serangoon Road/Bukit Timah Road), der Sri Veeramakaliamman Temple (141 Serangoon Road) und das Khansama Tandoori Restaurant mit Terrasse (khansama.net).

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